Was die Wut deines Kindes mit dir zu tun hat

VON DORIS GANTENBEIN

Kommt dir das bekannt vor? Dein Kind triggert dich bis du vor Wut fast zerplatzt? Sei beruhigt: Du bist nicht allein damit. Trigger und auch Wut kennt jede Mutter.

Vielleicht ergeht es dir auch manchmal wie Anna. Anna möchte mit ihrer 3-jährigen Tochter Lisa nach draussen gehen. Doch Lisa will das nicht und sagt, wie so oft in letzter Zeit, permanent NEIN. Obwohl sich Anna alle Mühe gibt, mit Lisa einfühlend zu kommunizieren und auf ihre Bedürfnisse einzugehen, nützt es nichts. Lisa bleibt bei ihrem Nein, was Anna langsam aber sicher ungeduldig und etwas lauter werden lässt. Nach mehreren weiteren misslungenen Versuchen fühlt sich Anna ohnmächtig und spürt, wie immer mehr Wut in ihr hochkriecht, bis ihr endgültig der Kragen platzt. Anna explodiert förmlich und schreit Lisa an, schimpft mit ihr, packt sie am Arm, zieht ihr wütend eine Jacke und Schuhe an und schleppt sie zur Wohnung raus. Erst im Nachhinein tut es Anna unendlich leid und sie würde am Liebsten im Erdboden versinken. Ist es dir auch schon so ergangen?

Kannst du dir vorstellen, dass die Wut deines Kindes etwas mit dir zu tun hat?
Du hast als Kind gelernt, nett, brav und pflegeleicht zu sein. Du hast gelernt, du darfst nicht wütend sein. So hast du im Laufe der Jahre eine Menge deiner Wut nach innen gesteckt. Doch weisst du was? Wut ist nichts anderes als ein Gefühl. Ein Gefühl, wie jedes andere auch. Weder schlecht noch gut. Weder lieb noch böse. Weder unerzogen noch brav. Ist ein Kind wütend, so wird dies oftmals als schlechtes Verhalten betrachtet und es wird versucht, das Kind mit manipulativen Machtmitteln zur Vernunft zu bringen: «Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst zu schreien, darfst du nachher nicht mehr draussen spielen gehen!»

Vielleicht kannst du dich zurückerinnern, als du noch Kind warst? Was wurde da zu dir gesagt, wenn du wütend warst? Durftest du dieses Gefühl äussern? Oder kam bei dir folgende Botschaft an: ‘Etwas stimmt nicht mit mir, wenn ich dieses Gefühl habe, denn ich werde abgelehnt, schlecht gemacht, erniedrigt. ’ Als Kind lernt man ziemlich früh, seine unangenehmen Gefühle zu verdrängen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht mehr da sind. Oh nein! Die verdrängte, ohnmächtige Wut ist in jeder Zelle abgespeichert und wird überdeckt bis zu dem Zeitpunkt, wenn ein äusserer Reiz sie wachruft und das Ganze zum Platzen bringt.

Sei dir bewusst: Wut ist stets nur das Symptom, nie die Ursache selbst.

Willst du dein Kind zukünftig vor unangemessenen Gefühlsexplosionen schützen, so lohnt sich der Blick in die eigenen seelischen Tiefen.

Alles, was dein Kind dir sagt und zeigt, egal ob du dich darüber freust oder ob es in dir Wut auslöst, ist eine Botschaft an dich. Doch bitte verbinde das nicht mit Schuld. Deine Verurteilung gegenüber dir selbst tut dir nicht gut und bringt nichts.

Weisst du, liebe Mutter, du tust stets dein Bestes. Stets! Alles, was du tust, ist immer mit deiner Vergangenheit verstrickt. Damals, heute und in Zukunft.

Der Blick hinter die Kulissen des Auslösers:
Was läuft in solchen Situationen ab? Was ist bei Anna abgelaufen, als Lisa ständig NEIN sagte? Du kannst dir vorstellen, als wenn es im Gehirn einen kleinen Kurzschluss gibt, welcher durch heftige Gefühle verursacht wird. Diese heftigen Gefühle entsprechen häufig nicht der momentanen Situation, sondern werden durch einen Reiz ausgelöst, wie zum Beispiel durch das Nein von Lisa. Ein Nein allein triggert nicht, oder? Schliesslich ist es bloss ein Wort. Doch mit diesem Wort sind Gefühle verbunden. Oftmals sehr starke Gefühle, welche den meisten gar nicht bewusst sind und bis in die Kindheit zurück wurzeln können. Durch das Nein wird bei Anna ein verdrängtes Schmerz-Erlebnis wachgerufen. Unterdrückte Gefühle wie Angst, Traurigkeit oder auch Verzweiflung kommen hoch. Etwas in dir will diese schlimmen Gefühle nicht fühlen, denn es tut so weh. Lieber werden sie weiterhin verdrängt, was zu grosser innerer Anspannung führt. Häufen sich solche Stresssituationen, kann das Körpersystem nicht mehr damit umgehen und irgendwann platzt diese Anspannung in Form von Wut völlig unkontrolliert heraus.

Anna selbst durfte als Kind nie NEIN sagen. Sie hatte zu gehorchen und das zu tun, was von ihr verlangt wurde. Also wurden Gefühle wie Wut verdrängt. Das hat viele Jahre lang funktioniert, doch seit Anna selbst ein Kind hat, wird sie ständig mit diesem Schmerz konfrontiert. Lisa spiegelt Anna punktgenau die wunden Punkte.

Weisst du, dein Kind hat unglaublich zarte Fühler, mit denen es sehr viel mehr wahrnimmt als dir bewusst ist. Es ist noch so sehr mit dir verbunden und nimmt alle deine Gefühle auf und spiegelt sie dir. Deshalb zeigt es manchmal Sachen, die bei dir selbst noch im Verborgenen schlummern. Dein Kind erinnert dich an deine eigene Kindheit und es brechen alte Wunden auf. Sie spiegeln dir deine Gefühle, auch die, die du zu unterdrücken versuchst.

Stell dir folgende Szene vor: Dein Kind möchte vor dem Zubettgehen noch ein Eis, was du nicht erlaubst. Daraufhin beginnt dein Kind zu schreien, zu brüllen und wie wild, um sich zu schlagen.

Das ist eine typische Situation, bei welcher du genauer hinschauen darfst. Vertraue darauf, dass dein Kind dir gerade ein Geschenk macht. Dein Kind ist wütend. Okay. Das macht dich auch wütend. Okay. Gehe davon aus, dass die Wut deines Kindes stets mitten ins Schwarze trifft, mitten in deine wunde Stelle. Es ist, als ob dein Kind den Pfeil spitzen, den Bogen spannen und dann blitzschnell im unbedachten Moment den Pfeil abschiessen und dich treffen würde. Das tut weh und du schreist auf, wirst laut. Du wirst wütend auf dein Kind.

Wieso tut dies mein Kind? Wieso tut es mir absichtlich weh? Das lass ich mir nicht gefallen. Es muss lernen, dass es dies nicht darf, oder?

Ja, dein Kind hat dich mit dem Pfeil getroffen. Doch es wollte dich nicht verletzen. Nein. Es wollte dir etwas aufzeigen, dich aufmerksam machen, dir zeigen, wo du Heilung nötig hast. Es hat eine Botschaft an dich.

Du kannst dir sicher sein, dass dein Kind niemals dich persönlich meint. Sobald du dich persönlich angegriffen fühlst, gehst du selbst in den Verteidigungsmodus und machst es dir selbst schwer, in der Liebe zu bleiben.

Hinter jedem Verhalten und eben auch hinter jedem Wutanfall deines Kindes steckt ein Grund. Es liegt in deiner Verantwortung, diesen Grund zu finden und die Wunde deiner Vergangenheit zu heilen.

Ist dein Kind wütend, so frage dich: Was treibt mein Kind in diese Wut? Ist das seine Wut? Oder spiegelt es mir etwas?
Zu 80% spiegelt dein Kind deine innere Unausgeglichenheit. Es zeigt dir punktgenau, wo es bei dir selbst noch klemmt, wo etwas geheilt werden möchte.

Wenn du dir diese Fragen nicht stellst, läufts du Gefahr, in dein altes Verhaltensmuster zu fallen, welches stärker ist als deine bewusste Kontrolle. Ohne es zu wollen, geht dies oftmals zu Lasten des eigenen Kindes.

Weisst du, Wut ist kurzfristig leichter zu ertragen als sich mit dem eigenen Schmerz auseinander zu setzen. Es ist auch leichter, die Wut auf eine andere Person zu projizieren, wie zum Beispiel auf das eigene Kind, denn damit kann man den Schmerz noch ein bisschen mehr von sich wegschieben. Das Problem ist: Langfristig machst du dir damit selbst etwas vor und diese Selbstleugnung aufrecht zu erhalten kostet sehr viel Energie und macht dich in Stresssituationen unberechenbar.

Du fragst dich jetzt vielleicht, wie du reagieren kannst, wenn dein Kind einen Wutanfall hat, dich schlägt, beisst und kneift.

Zum einen ist es wichtig, dein Kind in dieser Situation einfühlend zu begleiten und darauf zu achten, dass es niemanden verletzt. In meinem Artikel ‘Hilfe, mein Kind hat einen Wutanfall’ gehe ich näher dazu ein.

Eine ganz einfache Möglichkeit ist, sofort die Vogelperspektive einzunehmen, genau hinzuschauen und dir Fragen zu stellen:

Wie geht es mir gerade? Was genau provoziert meine Wut? In den allermeisten Fällen liegt der Ursprung der Triggerpunkte in der eigenen Kindheit.

Vielleicht warst du damals in gewissen Situationen hilflos ausgeliefert und dieses Gefühl der Ohnmacht hat sich in dir eingebrannt? Wirst du als Mutter in einer Situation (unbewusst) an diese Emotion von damals erinnert, bist du in der Regel nicht mehr in der Lage, vernünftig zu handeln. Die kognitive Kontrollinstanz versagt förmlich. Du verwandelst dich von der Mutter zum verletzten Kind, und letztlich kämpfen zwei Kinder gegeneinander.

Das Zusammensein mit deinem Kind bietet dir eine wundervolle Übungsmöglichkeit. Es kennt deine wunden Punkte. Es spiegelt dich. Sei bereit, hinzuschauen. Übernimm die Verantwortung für deine Gefühle und dein Verhalten. Nimm dich und deine Wut ernst. Alte Wunden fangen dann an zu heilen, wenn du sie siehst und dich mit ihnen auseinandersetzt.

Sobald es dir gelingt, die versteckte Botschaft hinter der Wut deines Kindes zu erkennen, ist diese Wut ein Geschenk für euch beide. Lasse das Geschenk nicht einfach links liegen, sondern überlege dir, wie du deine nun sichtbare gewordene Wunde zur Heilung bringen kannst.

Von Herzen wünsche ich dir ganz viel Mut, genau hinzuschauen und den Spiegel, den dir dein Kind in seiner Wut aufzeigt, liebevoll zu betrachten.

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